Beim wissenschaftlichen Schreiben wollen Sie alles richtig machen. Doch ist das überhaupt möglich – und wenn ja, ist es auch erstrebenswert? Klar ist: Keiner macht gerne Fehler. Und doch lässt sich das nicht unbedingt vermeiden. Denn oft gibt es kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ – und das gilt für die Argumentation ebenso wie für die formalen Regeln.
Lesen Sie in diesem Beitrag
- Was ist richtig, was ist falsch?
- Warum brauchen wir „Fehler“?
- Wie finden Sie zu einer guten Fehlerkultur?
1. Was ist richtig, was ist falsch?
Wie peinlich, wenn man in der Bachelorarbeit einen Fehler entdeckt oder von anderen auf etwas Falsches hingewiesen wird. Dabei ist das gar nicht schlimm. Denn im Prinzip gibt es die Kategorien „richtig“ und „falsch“ beim wissenschaftlichen Arbeiten gar nicht.
Eine komplexe Welt kennt keine einfachen Antworten
Die Wissenschaft hat auf viele Fragen keine klare Antwort. Deshalb heißt es oft: „ja, aber …“ oder: „es kommt darauf an …“. Das lässt sich damit erklären, dass unsere Welt komplex ist und wir vieles einfach nicht wissen oder bisher noch nicht bis ins Detail erforschen konnten.
Interessanterweise haben wir gut gelernt, mit diesen Unzulänglichkeiten umzugehen. Wir wissen, dass unterschiedliche Erkenntnisse nebeneinanderstehen können, selbst wenn sie sich zum Teil widersprechen. Beim wissenschaftlichen Arbeiten geht es also vielmehr darum, Widersprüche auszuhalten und einzuordnen, als „Fehler“ zu vermeiden.
Fokussieren Sie sich nicht auf die Pole
In einer wissenschaftlichen Arbeit werden Sie Ihre Fragen nicht klar mit „ja“ oder „nein“ beantworten können. Deshalb sollte Ihre Forschungsfrage auch eine W-Frage sein.
Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und darstellen, welche Sichtweisen es auf das von Ihnen untersuchte Phänomen gibt. Ziel ist es, dass Sie sich selbst eine Meinung bilden und diese dann in den Diskurs einordnen.
Dabei hilft das Bild eines Spektrums, das ausgehend von den beiden äußeren Polen viel Raum in der Mitte bietet. Es ist nicht nötig, sich einzuengen und auf den äußeren Rand zu beschränken. Nutzen Sie vielmehr das gesamte Spektrum, um Ihre Ergebnisse dort zu verorten.
Wer entscheidet, was richtig oder falsch ist?
Wenn Sie in Ihrer Arbeit zu einem von der Norm abweichenden Ergebnis kommen, stellt sich die Frage, wie Sie damit umgehen. Eine unpopuläre Meinung zu vertreten ist nicht leicht. Denn Sie werden diese viel stärker verteidigen müssen als ein Ergebnis, das unstrittig im Forschungsdiskurs ist.
Sofern Sie Ihre Sichtweise gut begründen können, sollten Sie sie auch selbstbewusst vertreten. Am Ende entscheiden immer nur Sie selbst, was in Ihrer Darstellung vorkommt, wie Sie sich positionieren und welche Argumente Sie dabei verwenden.
2. Warum brauchen wir „Fehler“?
Wir erwarten, dass alles glatt läuft. Doch das ist viel zu selten der Fall. Im Prinzip brauchen wir Fehler, um daraus lernen zu können. Fehler (oder das, was wir manchmal dafür halten) sind ein Teil des Erfolgs und gehören deshalb auch beim wissenschaftlichen Arbeiten dazu.
Abweichungen von der Norm sind kein Fehler
Weicht eine Perspektive oder der Erklärungsversuch eines Phänomens von der gängigen Meinung ab, fühlt sich das im ersten Moment falsch an. Denn nicht selten interpretieren wir ungewöhnliche oder unerwartete Ergebnisse als Fehler.
Das hat Konsequenzen: Wenn wir etwas falsch gemacht haben, wird von uns eine Entschuldigung oder Berichtigung erwartet. Aus Angst vor Konsequenzen versuchen wir daher, jedes Fehlverhalten zu vermeiden.
Dabei sind von der Norm abweichende Ergebnisse keinesfalls Fehler. Es sind einfach nur Ergebnisse, die von Ihnen interpretiert werden müssen. Und das ist oft viel interessanter, als bereits vielfach belegte Thesen zu bestätigen.
Rückschläge sind ein wichtiger Teil des Erfolgs
Obwohl wir meist schon aus Erfahrung wissen, dass der Weg zum Erfolg über viele Fehlversuche und Irrwege führt, blenden wir die Misserfolge gerne aus und präsentieren der Welt stolz unsere Erfolge.
Missglückte Experimente oder Thesen, die sich nicht verifizieren lassen, gehören in der Wissenschaft jedoch zum Alltag. Vermeintliche Fehler sind deshalb auch kein Grund, sich zu ärgern oder gar zu schämen. Machen Sie sich bewusst, dass es sich hier vor allem um ein Darstellungsproblem handelt: Die Erfolge sind sichtbar, die Misserfolge nicht.
Probieren geht über Studieren
Fehlversuche gab es schon immer. Genaugenommen basiert der gesamte Fortschritt der Menschheit auf dem Trial-and-error-Prinzip, also auf Versuch und Irrtum: Hätte zum Beispiel eine Neandertalerin nicht versehentlich das Fleisch ins Feuer fallen lassen, würde wahrscheinlich heute noch unsere Küche kalt bleiben.
Gerade bei komplexen oder unübersichtlichen Aufgaben ist es notwendig, sich schrittweise an die Lösung heranzutasten. Chancen entstehen oft nur durch Ausprobieren. Dabei dürfen Sie sich gerne sagen: Alles, was ich anders als erwartet mache, erweitert meinen Horizont und bringt mir Erfahrung.
3. Wie finden Sie zu einer guten Fehlerkultur?
So löblich der Anspruch, alles richtig machen zu wollen, auch sein mag – mit diesem Vorhaben können Sie in letzter Konsequenz nur Scheitern. Denn: Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.
Beim wissenschaftlichen Schreiben können Sie zu einem Großteil selbst entscheiden, was Sie als Fehler ansehen und wie Sie damit umgehen. Mit einer lösungsorientierten Fehlerkultur kommen Sie wesentlich entspannter durch den Schreibprozess.
Orientieren Sie sich dabei gerne an folgenden Ratschlägen:
1. Machen Sie jeden Fehler nur einmal
Rita Mae Brown schrieb: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Fehler sind dabei die Indikatoren, die uns auf neue Gedanken bringen können.
Um aus einem Fehler lernen zu können, müssen Sie jedoch die Ursache kennen. Mit dem Ishikawa-Diagramm können Sie strukturiert in alle möglichen Bereiche des Schreibprozesses schauen und dabei nach potenziellen Störquellen suchen.
2. Geben Sie nicht vorschnell auf
Wenn Sie merken, dass Sie mit Ihrer Argumentation an Grenzen stoßen, haben Sie die Wahl:
- Sie gehen den einmal eingeschlagenen Weg weiter und hoffen, mit Ausdauer und Beharrlichkeit irgendwann ans Ziel zu kommen.
- Sie erkennen, dass Sie auf dem Holzweg waren und ändern deshalb die Richtung.
Beides sind gute Optionen. Bedenken Sie jedoch, dass viele Wege nach Rom führen und es auf jedem dieser Wege Hindernisse und Stolpersteine geben wird.
Da Sie die Schwachstellen Ihrer Argumentationskette bereits kennen, sollten Sie nicht voreilig aufgeben. Prüfen Sie gründlich, ob Sie wirklich schon alle Möglichkeiten durchdacht haben, bevor Sie nach einer anderen Lösung suchen. Denn ob die sich bietende Alternative einfacher ist oder besser funktioniert, können Sie (zumindest im Moment) noch gar nicht absehen.
3. Stehen Sie zu Ihrer Entscheidung
Vermeintliche Fehler können mitunter auch bewusste Entscheidungen sein. Ich habe mir zum Beispiel überlegt, in meinen Texten nicht wie üblich das generische Maskulinum zu verwenden. So möchte ich nicht von „Lesern“ sprechen und damit Frauen und alle anderen einfach so mitmeinen. Ich möchte diese Gruppe direkt adressieren.
Mit der Entscheidung für das generische Femininum möchte ich auch auf das Ungleichgewicht hinweisen, das über lange Zeit durch das generische Maskulinum entstanden ist. Ich spreche deshalb konsequent von „Leserinnen“ und meine dabei Männer und alle anderen mit. Das klingt für mich fair.
Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Nach intensivem Abwägen der damit verbundenen Vor- und Nachteile habe ich beschlossen, mit der Umkehr der geltenden Norm ein Zeichen zu setzen.
Das generische Femininum sieht zum Teil ungewohnt aus und wirkt dadurch wie ein Fehler. Da ich aber transparent damit umgehe und meine Leserinnen auf die unübliche Verwendung hinweise, kann ich diese Entscheidung gut vertreten. In einer wissenschaftlichen Arbeit dürfen Sie übrigens auch das generische Femininum verwenden. Voraussetzung dafür ist nur, dass Sie einen entsprechenden Hinweis geben.
Ich möchte Sie mit diesem Beispiel vor allem ermuntern, kreativ zu sein. Denn: Was wir momentan noch als ungewöhnlich ansehen, kann – wenn die Idee interessant ist und auf Nachahmer trifft – schnell zur Norm werden.
4. Kein Text muss perfekt sein
Perfektion kann ein Motor sein, der Sie beim Schreiben motiviert. Perfektionismus bewirkt jedoch das Gegenteil: Aus Angst vor den eigenen Ansprüchen stehen Sie sich selbst im Weg. Das zeigt sich vor allem im Umgang beziehungsweise in der Akzeptanz möglicher Fehler.
Dabei sollte klar sein: Den in jeder Hinsicht perfekten Text gibt es nicht – oder der Aufwand dafür steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Verabschieden Sie sich deshalb vom Perfektionismus und versuchen Sie, einen guten Text zu schreiben, keinen perfekten.
5. Manchmal ist der Weg das Ziel
Sehen Sie sich neben dem Ergebnis immer auch den Schreibprozess an und nehmen Sie dabei insbesondere die Fehler in den Blick:
Was lief nicht so gut? Womit sind Sie unzufrieden?
Was haben Sie dabei gelernt?
Was wollen Sie beim nächsten Mal besser machen?
Eine selbstkritische Bestandsaufnahme nach jeder Arbeit ist für Sie selbst und Ihre persönliche Entwicklung oft mehr wert als das Ergebnis Ihrer Arbeit.
6. Schaffen Sie sich eigene Richtlinien
Beim wissenschaftlichen Schreiben gibt es eine Vielzahl von formalen Regeln. Und trotzdem lässt sich oft nicht sagen: Das ist richtig, alles andere ist falsch. So könnten zum Beispiel bei der Kennzeichnung von Zitaten folgende Fragen aufkommen:
Welche Informationen müssen belegt werden, was ist Allgemeingut?
Wie kennzeichne ich meine Quellen, als Kurzbeleg oder in einer Fußnote?
Reicht ein Hinweis am Absatzende oder braucht jeder Gedanke eine Referenz?
Überlegen Sie sich, was Sie für sich und Ihren Text im Rahmen der bestehenden Konventionen für geeignet halten. Definieren Sie auf dieser Basis dann die Kriterien, nach denen Sie sich im konkreten Fall für das eine oder andere entscheiden. Das sorgt für Konsistenz im Text.
7. Fehler sind menschlich
Es ist grundsätzlich nicht schlimm Fehler zu machen. Schlimm ist nur, nichts daraus zu lernen. Ärgern Sie sich deshalb nicht zu sehr über eine Fehlentscheidung. Sagen Sie sich einfach: Alle machen Fehler – es redet nur meist keiner darüber.

Der Schreibtipp 17 ist toll geschrieben, macht Mut zum Schreiben und nimmt Ängste. Es liegt nun an mir, diese auch tatsächlich in den (Schreib-)Alltag zu übernehmen.
Hallo Uta, schön zu hören, dass Dir mein Schreibtipp gefällt. Ich wünsche Dir viel Kraft für alle Deine Schreibprojekte – und ich bin mir sicher, dass auch Du viel Spass beim Schreiben haben kannst. Denn das ist oft der erste Schritt auf dem Weg zu einem schönen Text.